01 Juni 2006

Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit über den 10. Spieltag

Düstere Wolken ziehen dieser Tage über die sonst so malerische Peninsula, befindet sich der Stralauer Fußball doch in seiner schwersten Krise seit Jahrhunderten. Wie in der wie immer vorzüglich aufbereiteten Presseschau bereits zu erfahren war, fanden sich nur sieben Lizenzspieler in der ausverkauften Groucho-Marx-Arena ein. Angesichts dieser Misere versuchte ein Vertreter des Organisations- und Wohlfahrtskomitees per mobilem Fernsprechgerät einen grippekranken Wiener Auswahlspieler von dessen plötzlicher Genesung zu überzeugen, um nach dem Auflegen ernüchtert zu verkünden, was alle schon ahnten: „Er ist krank“. So blieb es bei sieben Akteuren, dabei hätte alles an diesem Spieltag so perfekt sein können, nicht zuletzt, weil der Brasilien-Legionär auf Heimaturlaub von Giersdorff zu Humboldt, übrigens ein Vorbild an professioneller Einstellung, was nicht nur sein bloßes Erscheinen bezeugt, eigens für diese Partie eine Auswahl selbstgehäkelter topmodischer Leibchen mitgebracht hatte, die ihm an einem anderen Tag aus den Händen gerissen worden wären, an diesem speziellen jedoch wegen der geringen Spieleranzahl in ihrer Plastiktüte verharren mussten. Von Giersdorff zu Humboldts Enttäuschung darüber war mehr als verständlich. Enttäuscht war auch der Schamane von Traktor Stralau, der für die Traktoristen eine wundersame Kräuterpaste angerührt hatte, die auf die Muskulatur aufgetragen vor Krämpfen und Verhärtungen schützen soll, um auf diese Weise auch den schwächeren Spielern ein Durchstehen einer 180-Minuten-Partie zu ermöglichen. Als der Medicus erfuhr, dass seine Salbe an diesem Spieltag nicht zum Einsatz kommen würde, lief sein Gesicht puterrot an, er tobte und erwähnte zigmal, die gesamte Nacht von Freitag auf Samstag an der Rezeptur für die Paste herumgefrickelt zu haben. Es sollte nicht das letzte Mal gewesen sein, dass er an diesem berüchtigten Tage leiden musste, aber dazu gleich mehr. Was veranstalteten nun die sieben Heroen, die sich bemüßigt sahen, überhaupt zu erscheinen? Sie kickten mehr schlecht als recht auf ein Tor und schoben zwischendurch ein Strafstoßtraining ein, das von sensationsgeilen Photojournalisten für die Nachwelt festgehalten wurde. Alles in allem ein äußerst pomadiger Vortrag, der vom Stralauer Publikum nicht goutiert werden konnte. Leidgeprüft durch die zahlreichen vorzeitigen Spielabbrüche der vergangenen Wochen war die Stimmung unter den Fans extrem aufgeheizt, ein einziger Funke würde nun genügen, um den Volkszorn vollends zu entfachen. Die Sieben merkten dies und Ausnahmestürmer Florinho nahm das Heft des Handelns in die Hand und versuchte die Zuschauer milde zu stimmen, indem er ein paar ansehnliche Tricks aus seinem Hut zu zaubern versuchte, die ihm aber unter der exorbitanten Anspannung misslangen. Kurze Zeit später flogen die ersten Gegenstände auf den Platz. Waren es anfangs nur einzelne Wurfgeschosse, regnete bald darauf ein Niederschlag aus belegten Brötchen, Bierdosen und frischem Fisch aus der Rummelsburger Bucht auf die Spieler herab. Unberechtigterweise bekamen die glorreichen Sieben den gesamten über Wochen angestauten Zorn der Massen zu spüren, und das nur, weil sie pflichtgemäß zum Spiel erschienen waren. Dass einige Akteure die Lebensmittel vom Rasen auflasen, um sie sogleich hastig in ihrer Trikotage zu verstauen, gab Gerüchten über rückständige Gehaltszahlungen neue Nahrung. Obendrein wurde der ohnehin angesäuerte Club-Schamane von einem heranfliegenden Rummelsburger Riesenrochen am Kopf getroffen. Was würde wohl passieren, wenn die letzten Gegenstände geworfen worden wären? Womöglich Handgreiflichkeiten gegen die Traktoristen? Jedenfalls überkam die anwesenden STAUFA-Funktionäre wegen der eskalierenden Situation die nackte Angst. In ihrer Rat- und Hilflosigkeit riefen sie die Schweizergarde, die 500 Jahre alte Ehrenwache der Päpste, denn ein unglaublicher Zufall wollte es so, dass diese gerade einen Kurzurlaub auf Stralau verbrachte, während ihr Oberbefehlshaber Beppo XVI. am vergangenen Wochenende in der Heimat seines verstorbenen Vorgängers weilte, und die Garde deshalb im Vatikan abkömmlich war. Der Pontifex stellte jedoch in scharfen Worten unmissverständlich klar, dass er die Schweizergardisten am Sonntagabend pünktlich zurück erwarte, da ihn ansonsten, so allein im Apostolischen Palast, ein Gefühl großer Unsicherheit beschleichen würde. Seine von der STAUFA ausgeliehenen mit historischen Helmen und Lanzen bewehrten Soldaten marschierten also in die Marx-Arena ein und ihre bloße Präsenz sorgte rasch für eine Entspannung der Lage, weil die Zuschauer auf die Gardisten zuströmten, um deren lustig bunte Aufmachung aus nächster Nähe zu bestaunen; und in der Gewissheit, sich eine teure Reise nach Rom gespart zu haben, vergaßen sie ihren Groll gegen die Spieler von Traktor 1266 Stralau, die sich mit prallgefüllter Trikotage heimlich aus der Groucho-Marx-Arena schlichen. Die um ihre Reputation besorgte STAUFA nutzte die Gunst der Stunde und holte von den glückseligen Fans Verpflichtungen zur Verschwiegenheit ein, auf dass die Tumulte des 10. Spieltages niemals ans Licht der Öffentlichkeit gelangen würden. Jedoch hat sie die Rechnung ohne den Adlatus des Stralauer Platzwartes gemacht.

Geschrieben von Snorri Sturlufsson, einem einfachen Arbeiter im Weingarten des Stralauer Platzwartes.

2 Comments:

Anonymous Anonym said...

Sehr geehrter Herr Chefredakteur zu Ehren des St. Platzwartes,

ja zwickt's mi, i glaub i draam, war ich doch auch in der Hippo-Marx-Arena an diesem denkwürdigen zehnten Spieltag der nun nicht mehr ganz so jungen Frühlingssaison. Hab' ich zuviel mit den anwesenden PressevertreterInnen aus den angrenzenden Westbezirken geflirtet, oder war gar in der zu Mittag genossenen Maultaschensuppe irgendein Halluzinogen drin, das mein Bewusstsein nachhaltig eingetrübt hat, denn ich habe weder den Schamanen mit seiner Kräuterpaste mitbekommen, noch die fliegenden Victu- u. Naturalien, die die LizenzspielerInnen, v. a. wohl die aus den angrenzenden oestlichen Bezirken, sofort eingeschnappt haben. Warum sagt mir denn das kein Mensch? Auch ich leide Not, da das CARE-Paket aus dem Basler Stadt-Kanton dieses Mal wohl von irgendeinem hungrigen Postler eingesackt wurde, roch es doch wieder garantiert verführerisch nach frischen ungemahlenen Bohnen Schweizer Schümlicaffees!
Dann noch die entscheidende Frage: Wen bitteschön hat denn der RuBu-Süßwasser-Riesenrochen getroffen? Den Kositzki-Tom? Wissen Sie, dass diese Viecher hierzulande bis zu neun Meter Spannweite erreichen können? Das müsste doch heißen, dass da ein Viech herabgeregnet kam, dass im geographischen Mittelpunkt des Stadions auftreffend, vom Durchmesser her über den Anspielkreis der HMG-Arena lappen musste, d. h. der getroffene Spieler hätte mühsam unter dem Rochen hervorrobben müssen, und das dürfte einige Minuten in Anspruch genommen haben. So lange habe ich nun auch wieder nicht bei der Bewässerung der Gärtnereien des St. Platzwartes verbracht.
Jedenfalls, lieber Herr Chefredakteur, habe ich eine überfließende Badewanne an Tränen gelacht ob Ihres Berichtes zum X. Spieltag, der offenbar ganz im Zeichen Ihres Schutz- und Trutzpatrons, äh ich meine -Barons, des seligen Herrn von Münchhausen verfasst worden war, so vermute ich es jetzt doch ob meiner offensichtlichen Blauäugigkeit einmal. Wie kommen Sie denn auf Ihre ungeheuren Inspirationen? Hoffentlich gucken Sie nicht zuviel Video-Text oder studieren regelmäßig in der Bibliotheka in der Grünberger Straße die ausliegenden Blätter der windigen Hauptstadtpresse, da wäre es dann allerdings kein Wunder, dass Sie neben den nur allzu traurig vorhandenen Realitäten anlässlich des X. Stralauer Spieltages Ihr Füllhorn an realsatyrischem Feuergewerke aussschütten mussten, bewusstseinsgestaehlt ob derart bedenklicher Lektüre.
Aber nun kurz noch ein Themenwechsel. Wir beide sind ja nun, wenn man es nüchtern betrachtet, die einzigen Personen, die das formidable Forum des St. Platzwartes heimsuchen, die sich ein bisschen eingehend(er), mit wissenschaftlichem Interesse sozusagen, für die Spieltaktiken und das analytische Spielverständnis auch im sogenannten "Bezahlfußball" interessieren, seien wir doch mal ganz ehrlich. Also, wie fanden Sie das heute wieder: Grinsis Sängerknaben gegen die Caballeros von Colombonesien, die ja noch am Stadioneingang die wohlgefüllten Puderdoeschen offiziell abgeben mussten, und deshalb den Chorknaben gar nix abgeben konnten, weswegen die natürlich konditionell zumindest die ersten 75 Minuten stark überlegen waren. Der Grinsi hatte ja noch zur lolila im Anschluss an die vierte Flasche Gutedel gesagt, dass es möglich sei, so ein Internationales Championat auch nur mit Standardsituationen zu gewinnen. Plädieren Sie auch für so einen staubtrockenen Standpunkt? Aber natürlich, ich vergaß, am Ende hat doch der Popotovskij gar so etwas wie ein Tor aus einer stockenden, aber doch irgendwie als Spielsituation bezeichnenden Momentaufnahme erzielt. Gegen Colombonesen, die nicht wissen, dass Ihre euroaeischen Sparringspartner tatsaechlich auch schon die Moeglichkeit des Kopfballspielens entdeckt haben ... Oder bin ich, bei allem Respekt, wieder zu pessimistisch gestimmt in puncto Championat. Ich habe ja immer noch die Suedkoreaner im Hinterkopf, die noch viel konditionsstaerker und v. a. noch versierter am Ball sind, normalerweise. Leider werden Sie von einem Hr. Advocaat Verpoorten Eierlicoerliebhaber seines Zeichens, jetzt trainiert, d. h. , womoeglich mussten Sie im Laufe der letzten Monate doch wieder das Fußballspielen verlernt haben. Auf wen tippen denn Sie als moegliche CandidatInnen fuer den Einzug in's Halbfinale?
Nichts fuer ungut und vergelt's Gott fuer den schoenen Artikel, den letztigen aus Ihrer Edelfeder,
ade und salut emol sagt Rueffli Waddewiggler

10:00 PM  
Anonymous Anonym said...

Lieber Rüfli, gerade blicke ich auf meinen Chronographen, auf dessen Herstellung sich Ihre Landsleute so prächtig verstehen. Es ist 22.30 Uhr an einem milden Freitagabend, und die Grinsmänner haben bereits ihren Angstgegner Kosta Rika besiegt, während die Polskianer größte Probleme mit den Äquatorianern haben, denn sie liegen 0:1 zurück, wer hätte das gedacht? Äquator spielt gut organisiert, da wird die BRD Schwierigkeiten haben wieder vier Treffer zu erzielen, um die zwei, drei üblichen Gegentore zu verkraften. Moment, jetzt führt Äquator sogar 2:0, damit sind sie wohl eindeutig erster Anwärter auf den Gruppensieg. Ich glaube übrigens auch, dass der Trainer von Austral-Corea, Dick Advocaat, des Anwalts Liebling, in der Lage ist, diese 2002 so aufopferungsvoll spielende Mannschaft zu runieren, führt man sich nur sein Gladbacher Intermezzo vor Augen. Ein Favorit fürs Semifinale könnte Angelsachsen sein, das schon in seinen Prä-WM-Testspielen zu überzeugen wusste und einen zusätzlichen Schub bekommen wird, wenn Runi nach der Gruppenphase wieder dabei ist. Meines Erachtens wird Frankreich auch bei diesem Championat nichts zu bestellen haben, zumindest, wenn man nach den Testspielen geht und nach Zidanes Form, z.B. im Vergleich gegen Mechico, da hat er nichts gezeigt und sogar einen Freistoß weit übers Tor gehauen, was eigentlich schade ist, habe ich ihm doch immer gern zugesehen. Aber vielleicht irre ich mich ja auch, denn Irren ist selbst für Isländer nur allzu menschlich.
Mit den besten Wünschen
Snorri Sturlufsson

11:06 PM  

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