07 Februar 2007

Der 5. Akt des Stralauer Fußballstücks 2007

Winter schon wieder weg, viele Traktoristen beenden Skiurlaub bzw. Winterschlaf

Auf meinem Weg zur Presseloge in der Arena fahre ich am Südufer der Rummelsburger Bucht entlang und erspähe den Platzwart, wie er gerade seinen Einbaum am Steg vertaut. Ich winke, er winkt zurück. Unglaublich freundlich, der Alte, denke ich mir und trete in die Pedalen, denn ich bin spät dran. Ich weiß den Platzwart ein paar Meter hinter mir, als mich etwas Glitschiges am Hinterkopf trifft. Schneller Stop und Blick achtern auf den Boden: Zweifellos, da liegt ein Rummelsburger Karpfen. Einen Fischwurf entfernt klatscht sich der Alte Mann vor Freude auf die Schenkel. Für gewöhnlich würde ich mich in so einer Situation echauffieren und den Missetäter unverzüglich zur Rede stellen, aber irgendwie freut es mich, dass er in seinem fortgeschrittenen Alter noch zu Späßen aufgelegt ist und sich offenbar prächtig amüsiert, weshalb ich davon absehe. Der schuppige Freund rührt sich nicht. Entweder er war schon vor dem Wurf tot oder ist vor Schreck im Flug verschieden oder durch den Aufprall an meinem harten Dickschädel. Vielleicht ist er auch gar nicht tot, sondern nur bewusstlos oder einfach unter Schock. Warum stelle ich eigentlich derartig zeitraubende Überlegungen an, wo ich doch ohnehin schon verspätet bin? Ich weiß es nicht. Kurzentschlossen lese ich den glitschigen Gesellen vom Boden auf und werfe ihn in Richtung seines feixenden Absenders, verfehle ihn knapp. Endlich fahre ich weiter zum imposanten, nach einem politischen Ökonomen benannten Stadion und treffe um zirka 14 Uhr dort ein, genau wie der Admiral, ein erstaunlicher Zufall. Folgende Spielerinnen, die angesichts milden acht Grad Celsius und strahlenden Sonnenscheins erstmals in diesem Jahr über Hautschutz und Bräunungscreme fachsimpeln, wollen ihre Kräfte gegeneinander messen:

Bunt wie Buntstifte: R. Forster, Homo klosiensis (wieder dabei und mit „Flo Flo“-Rufen frenetisch empfangen), Andi Kuttnerius, Niels „Wenn ich Trainer wär, würde ich mich auswechseln heute!“ Tiedtke, Matthias aus Leipschg, G.I. Admiral Norbertonius (verspätet) sowie Thilo der Göppinger (noch später)

Weiß wie Eierschalen (von weißen Hühnern): Stimme Pippo, Lunge Ralf S., Dirk (Nowitzki), Iron Steffen, Brüdi und Tommy LQ (verspätet)

Bei meiner Ankunft in der Presseloge hat die Partie bereits begonnen, es spielen zunächst fünf gegen fünf, dann werden die Verspäteten, Tommy und der Admiral, in einem Gnadenakt integriert, eine recht ausgeglichene Angelegenheit mit Chancen und Toren auf beiden Seiten. Dann erscheint Thilo der Göppinger, will mitspielen, na klar, warum sonst sollte er sich in die Karl-Otto-Marx-Arena begeben haben? Die Traktoristen zögern, wollen sich ihr equilibres Spiel nicht so ohne weiteres von einem Göppinger kaputtmachen lassen. Schließlich fasst sich Klosiensis, der Volkskommissar des Stralauer Freizeitfußballs, ein Herz und bittet seinen Landsmann auf den Platz. Die Buntstifte, die jetzt mit einer Frau in Überzahl sind, entwickeln nur ein ganz bescheidenes Übergewicht, vermutlich wegen der erneut dürftigen Leistung des Admirals, so dass Pippo als Kapitän der Eierschalen regelrecht empört ist, als die Stifte ihm eine zusätzliche Spielerin anbieten. Zitat Pippo: „Ihr spielt uns hier nicht gerade gegen die Wand.“ Wo er Recht hat, hat er Recht. Es geht also noch eine ganze Weile sieben gegen sechs weiter, bis sich Brüdi, der zwischenzeitlich in ein Wortgefecht mit Tommy über richtiges Stellungsspiel bei eigenem Angriff verwickelt war, welches nur von der Stimme, Kapitän und Respektsperson in Personalunion, beendet werden konnte, von Krämpfen versehrt, vom Kunstrasen schleppt. Schlimm, dass ausgerechnet der Admiral ihn ersetzen soll, aber selbst ihm gelingt es nicht, die Schalen nachhaltig zu schwächen, die von ihrer Achse Ralf-Dirk-Tommy getragen werden, in Steffen einen überragenden Schlussmann haben und mit Pippo einen Kapitän, der hinten fast alles abräumt. Nach etwas über zwei Stunden ist die Partie zu Ende. Hochrechungen und groben Schätzungen zufolge, sollen die Eierköppe ungefähr mit 18 zu 14 Toren gewonnen haben, wobei allein die Lunge überragende neun Treffer für sich verbuchen konnte.

Ganz Stralau fragt sich: Wie hat eigentlich unser Freund Stanley Stralauer, der alte Kundschafter und Sammler, den heutigen Nachmittag verbracht? Auf den Straßen und Plätzen von Stralau-Stadt kursiert das Gerücht, er habe sich einer Schachgruppe in einem Stralauer Seniorenstift angeschlossen. Unsere Recherche ließ nicht lange auf sich warten. Kriemhild Kupferstich, Leiterin des Seniorenzentrums an der Tunnelstraße, weiß zu berichten: „Ach wissen Sie, wir haben Stralauer aus humanitären Gründen aufgenommen, als er völlig desorientiert vor unserer Pforte stand. Er spielt jeden Nachmittag mit den jüngeren Bewohnern des Zentrums Schach, meistens mit dem 83-jährigen Erwin und dem 88-jährigen Gustav. Er dämmert so vor sich hin, ist ganz weit weg, dann, ganz plötzlich, wie aus dem Nichts, macht er einen Zug. Die einzige Schnittstelle zwischen seiner Welt und der unsrigen scheint das Schachbrett zu sein. Er dämmert wieder weg, dann, ebenfalls wie aus dem Nichts, stößt er Verwünschungen gegen einen Isländer aus, der allwöchentlich seinen Namen in Verruf bringe. Haben Sie eine Ahnung, wen er damit meinen könnte?“ Nein, beileibe nicht, nicht einmal ansatzweise. Hoffen wir, dass Stralauer bald wieder für Traktor auflaufen kann und dem guten Beispiel des Homo klosiensis folgt, welcher nicht nur ein sehr ordentliches Comeback gab, sondern auch bis Spielschluss ausharrte. Möge er die energischen „Stanley Stanley“-Rufe der Fans in der Arena erhören und sich rasch von seinem jüngsten Fahrradsturz erholen. Auf, auf zum sechsten Stralauer Spieltag in einer Woche!

Spielbericht, Gerüchteverbreitung und Appelle gehen schon wieder auf das Konto von Snorri Sturlufsson (verfasst am 03.02.07).

© Snorri Sturlufsson Productions 2007

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3 Comments:

Anonymous Anonym said...

Sturlufsson, das wird ein Nachspiel haben. Ich erkenne in Ihren Ausführungen Worte, die ich in meinen Geleitworten für die "Stralauer Fußball-Chronik [a.d.] 2006" verwendet habe. Diese können Sie sich nicht so einfach an Ihre Weste knüpfen, auch wenn Sie noch so viel Schreib-Talent aufweisen und irgendwann mein Nachfolger als Ober-Chronist von Stralau (ich bin leider kinderlos, Anm. C.O.) mögen.

12:47 AM  
Anonymous Anonym said...

Castellanus Octavianus, gibt es tatsächlich ein Urheberrecht für einzelne Worte? Falls ja, könnte ich meine werten Kolleginnen wohl auch hin und wieder anprangern, wenn sie sich bei mir bedienen. Meinen Sie das Wort "Kundschafter", welches ich in Bezug auf Stralauer verwende? Natürlich könnte ich es ersetzen, durch "Pionier" zum Beispiel, so Sie denn darauf bestehen.
S. Sturlufsson

8:28 PM  
Anonymous Anonym said...

Werter junger Kollege,

gerne weihe ich Sie in die Gepflogenheiten eines Stralauer Chronisten ein. Auch ich war vor langer Zeit (lange, bevor ich das biblische Alter von mittlerweile 122 Jahren erreichen durfte) so forsch und unerfahren wie Sie, stehe Ihnen deshalb gern zur Seite.

Lassen Sie uns einen Termin vereinbaren. Admiral Norbertinus zur Rummelburger See lädt uns sicher gern zu einer nächtlichen Fahrt auf seinem Kahn ein, auch der Stralauer Platzwart (der als junger Steppke bei mir das Schreiben lernte, bevor ich pensioniert wurde) wird es sich nicht nehmen lassen hinzukommen.

Ich schlage die Sonnenwende vom 20. auf den 21.6. vor. Ich hoffe, Sie können es einrichten, diese dieses Jahr bei Stralau zu begehen.

Hochachtungsvoll

Ihr Castellanus Octavianus, Chronist von und zu Stralau

10:10 PM  

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