19 Oktober 2006

Von der leidvollen Suche nach Erwerbsarbeit

Auch ein Admiral braucht mal Geld

An einem Donnerstag im Oktober, gegen 13 Uhr. Ich bog auf meiner Blechrosinante in die Karl-Friedrich-Flick-Chaussee ein und parkte sie vor einem Haus, in dem ich die Firma Dumm Personalvermittlung vorzufinden erwartete. Diese behauptete mir gegenüber am Telefon, meine Suche nach bezahlter Arbeit mit Erfolg krönen zu können, ich solle ruhig zu einem Gespräch vorbeikommen, es würde sich gewiss lohnen. Sie fragen sich sicherlich, warum eine vom Leben verwöhnte Persönlichkeit wie ich es überhaupt nötig hat, einen solch dornigen Weg zu beschreiten. Nun, ich laboriere seit gut dreieinhalb Monaten an einer mich behindernden Knöchelblessur, die ich mir im aufopferungsvollen Einsatz für Traktor 1266 Stralau e.V. zugezogen hatte, habe seitdem aber nicht einen Cent Lohnfortzahlung im Verletzungsfall bekommen, trotz zahlreicher Anträge meinerseits. (Exkurs: Die Lohnfortzahlung im Verletzungsfall wurde Mitte der siebziger Jahre abgeschafft, nachdem die damalige Clubführung mir vorwarf, sie über Gebühr in Anspruch genommen und damit Traktor in finanziell schwieriges Fahrwasser gebracht zu haben. Das finde ich kleinlich, denn heutzutage wird viel Geld für teure Anzeigetafeln, Flutlicht und Rasenheizung in der Murx-Arena ausgegeben, die dann noch nicht einmal funktionieren.) Notgedrungen musste ich mich auf die für mich ungewohnte Suche nach Lohnarbeit begeben, um meinen hohen Lebensstandard auch während meiner Rekonvaleszenz sichern zu können, mein Hauspersonal will schließlich bezahlt werden, und das völlig zurecht. So stand ich also vor der Tür von Dumm Personalüberlassung und klingelte. Einige Sekunden verrannen, bis ein mich vielleicht wegen meines durch den Fahrtwind zersausten Haupthaares kritisch musternder Jungspund öffnete und nach etwas Überzeugungsarbeit auch einließ. Kurz darauf begrüßte mich Frau Satan-Stochter, mit der ich wohl den Termin vereinbart hatte, und bat mich, noch einen Moment in der Sitzreihe in dem schmalen Flur Platz zu nehmen. Rein äußerlich zeichnete sie sich durch ihr karmesinrotgefärbtes Haar und ein beeindruckendes verlängertes Kreuz aus, das sie in einer hautengen graumelierten Geschäftshose zur Schau zu stellen wusste. Flink wie eine Stralauer Küchenschabe eilte ich nochmal vor die Tür, nur um mich zu vergewissern, nicht aus Versehen in ein Billigbordell geraten zu sein. Dann führte man mich in einen Raum, in dem ich einen Personalfragebogen nach bestem Wissen und Gewissen ausfüllen sollte, doch ich war irritiert, denn der unfreundliche Milchbart von der Eingangstür saß in der selben Räumlichkeit vor einem Personalcomputer, langweiligen Schriftverkehr bearbeitend. Er hat also nicht einmal ein eigenes Büro, schmunzelte ich innerlich, um mich sogleich darüber zu ärgern, den Raum mit diesem Jüngelchen teilen zu müssen, wo ich doch meine ganze Konzentration dem komplizierten Fragebogen zuwenden musste. Unbefriedigend war zudem, dass mir kein Kaffee angeboten wurde, da war ich weiß Gott Besseres gewohnt. Erst eine Woche zuvor wurde ich in einem Etablissement ähnlicher Couleur von einer freundlichen wie charmanten jungen Dame empfangen, die mich sofort erkannte, denn sie war Traktorfan, und bereitwillig gab ich ein Autogramm. Wie es der Zufall so wollte, war ich ihr Lieblingsspieler. Sie erzählte mir von einem überlebensgroßen Starschnitt-Poster meiner Wenigkeit, das in ihrer Wohnung eine Zimmerwand schmückte. Ich sah es vor meinem geistigen Auge, und der Anblick gefiel mir. Dann geleitete mich die liebenswürdige Erscheinung zu einem abgetrennten Raum, einem Séparée, in dem ich in aller Bierruhe den Fragebogen mit Inhalt würde füllen können. Als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, brachte sie mir, nachdem ich zuvor eingewilligt hatte, einen Latte Macchiato und ein Stück Sachertorte, welches ich unverzüglich verzehrte, denn ich hatte schlecht gefrühstückt. Der Quell wärmenden Lichts verließ nicht sofort mein Frühstückszimmer, blickte ein wenig verschämt zu Boden, um mich dann zu fragen, ob wir uns nicht mal auf eine Tasse Kaffee treffen könnten. Ich verstand nicht sofort, wir trafen uns doch gerade hier, und zumindest ich hatte Kaffee vor mir, und es wäre für sie wohl ein Leichtes auch für sich selbst frischen aufzubrühen. Irgendwann begreift dann auch ein Schafskopf wie ich, dass sie nur ein Rendezvous gemeint haben konnte. Natürlich fühlte ich mich geschmeichelt, gab jedoch zu bedenken, aufgrund meiner Verletzungsmisere derzeit ungenießbar und niemandem zuzumuten zu sein, versprach aber, mich bei ihr zu melden, sobald ich wieder in vollem Saft auf dem Rasen der Karl-Marx-Arena stünde. Eine Träne unverhofften Glücks kullerte über ihre Wange, und weil ich derlei emotionale Ausbrüche kaum zu ertragen im Stande bin, reichte ich ihr schnell ein Papiertaschentuch, das sie auch dankbar annahm. Vom Himmel zurück zur Hölle der Personalvermittlung. Frau Satan-Stochter führte mich in eine Räumlichkeit am Ende des schmalen Flures, wo nun das Gespräch vonstatten gehen sollte. Als ich gerade Platz genommen hatte, forderte sie mich auf, mal was zu erzählen, woraufhin ich berechtigterweise fragte, was sie denn hören wolle. Nun wurde sie unverschämt und begann mich zu belehren, dass ein Vorstellungsgespräch zu achtzig Prozent vom Bewerber zu führen sei. Beim Barte des Stralauer Platzwartes, wusste sie denn nicht wen sie vor sich hatte? Jetzt fing ich meinerseits an, Satan-Stochter eine Lektion zu erteilen, indem ich ihr erläuterte, wie wichtig es in solchen Gesprächen für die Nichtbewerberseite sei, den Inhalt abzustecken, stand ich doch kurz davor, ihr ausführlichst von der Stralauer Apfelernte zu berichten. Widerwillig gab sie nach und fragte mich nach meiner Tätigkeit als Telephonist in einem Rufzentrum, und so begann ich schwungvoll von meinen Erfahrungen mit der telephonischen Kundenbetreuung zu erzählen, dass ich nicht gern telephoniere, Kunden nicht ausstehen könne und mich in der Rolle des zu Bedienenden traditionell wohler fühle als in der des Dieners. Das Gesicht dieser Satan-Stochter nahm nun die rote Farbe ihrer Haare an, sie griff sich meine Bewerbungsmappe und sagte energisch: „Die kann ich Ihnen gleich wieder mitgeben, denn mit dieser Einstellung können wir Ihnen keinen Arbeitsplatz vermitteln.“ Erleichtert nahm ich meine Unterlagen entgegen, jedoch nicht ohne sie noch ein weiteres Mal schulmeisterlich belehren zu müssen. Es sei keine Frage der Einstellung, sondern eine der Eignung, betonte ich, schließlich hätte ich mich in der Kundenbetreuung lang genug versucht. Satan-Stochter wirkte trotz meiner klaren Argumentation völlig unbeeindruckt, und meine Nachfrage, ob Dumm Personalverleih denn keine Stellen als Platzwart, Berater oder Sportjournalist zu vermitteln hätte, schien sie bestenfalls zu irritieren. Sie wünschte mir viel Glück bei der Suche nach meinem Traumjob und komplimentierte mich grimmig aus ihrem Hoheitsgebiet hinaus. Auf der Türschwelle gelang es mir noch den Brunftschrei des Rummelsburger Elchs zu imitieren, was für seelische Befreiung sorgte vor dem Hintergrund wieder einmal auf einen Menschen gestoßen zu sein, der nicht das geringste Verständnis aufbrachte für mein Streben nach geistiger Vertiefung und sittlicher Veredlung. Trotz aller Erleichterung, diesen unheilvollen Ort wieder verlassen zu können, war mir das Fortbestehen des pekuniären Problems natürlich bewusst. Besonders tragisch, dass ich erst kürzlich bei der Wahl zum Nachfolger des UNO-Generalsekretärs scheiterte, obwohl ich mit der Kampagne „Ein Stralauer muss es sein“ ins Rennen gegangen war und der Plan für den Weltfrieden bereits in meiner Schublade lag. Nachdenklich schritt ich die Stufen herab und ging hinaus auf die Straße. Erst jetzt fiel mir auf, was für ein güldener Oktobertag es war, und diese frische Luft, hatte es in der Einrichtung nicht eindeutig nach Schwefel gerochen? Heilfroh, den Mächten des Bösen widerstanden zu haben, band ich meinen Drahtesel los und trat die fünfstündige Rückreise nach Stralau an.

Norbertonius Pagellantopoulos, Admiral zum Rummelsburger Sund und ehemaliger Kandidat für das Amt des UNO-Generalsekretärs

3 Comments:

Anonymous Anonym said...

Sehr geehrter Dr. h. c. Pagellantpoulos, Admiralius, Stattverhalter, Ex-Candidat des UNO-Vorsitzes, Oberster Gladiator in der Charlotta-Murx-Arena samt angeschlossenem Amphitheater zu Ehren des St. Platzwartes,
herzlichen Dank für Ihre unbeschwerte Kolumne, heiter, witzig & edel temperiert im Tonfalle, die mich erfolgreich über die Untiefen eines durch und durch arbeitsdurchseuchten Tag hinwegsteuern geholfen hat. Bis heute abend hoffentlich hinter den Toren zu St. Klosiensis und Susanns Reich,
adieu,
Ihr Co-Adlatus in der Eremitage gleich links hinten, vor dem Wasserturm zu St. Kreutzians Hain

4:59 PM  
Blogger Kongo-Otto said...

Dem Admiral sei empfohlen, sich zukünftig auf sein Sportwetten-Geschäft zu konzentrieren (dessen Angebot sich sicher auch um die samstägliche Partie auf Stralau erweitern könnte). Ich hoffe, die freitägliche Inspektion der Filiale am Hermannplatz war erfolgreich.
Viel Erfolg

Andi.

11:55 AM  
Anonymous Anonym said...

O werter G. I. Admiralius Pagellantopoulos, Statthalter Roms zu Stralaus Glanz & Gloria, Ehren-Ganymedonius des Stralauer Geistergelages, das jedes Jahrhundert im 6. Annuarium am 31. Ottobrius auf dem Hexenkampfplatz an der Wendenwiese stattfindet, zur eternitätlichen Erinnerung an alle edlen verflossenen vergossenen Stralauer Spirituosen, Oberverkoster der Markgräflich 1266 gegründeten Aktienbierausschüttung des Stralauer Hofbräus, einziger akzeptabler Erz-Geront unter den Co-Adlati des St. Platzwartes,
wann spielst Du endlich mal wieder gegen die Windmühlenflügel des sogenannten Neuen Traditionskerns, nachdem auch noch der Geronto-Routinier II von Tractor 1266 Stralau e. V. wegen einer ernsthaften Achilleus-Sehnen-Anstauchungs-Blessur womöglich das Zeitliche segnet, trainiere fleißig, damit Du auch bald die ewigen Ballspielgründe der Charlotta-Murks-Arena bereichern kannst.
Gute Besserung wünscht Dein
St. Platzwart

1:09 PM  

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