16 Juli 2006

Nocturnales Treiben in der Rummelsburger Bucht

Da die Freunde des Stralauer Platzwartes, Sektion Neukölln-Kreuzberg, offenbar heimlich hinter verschlossenen Türen zu dritt getagt haben, unter der unrühmlichen Nicht-Hinzuziehung Ihrer Mitspieler aus den östlichen Stadtbezirken, was als unsportliches und unfreundschaftliches Verhalten gerügt werden darf, meldete sich der Alte Mann von seinem Boot aus bei seinen Adlati in Friedrichshain und Stralau. Man beschloss, in der Vollmondnacht vom 11. auf den 12. Juli, spätestens aber um 4:07 Uhr, wenn der Mond in voller Blüte steht, auf der klapprigen Barke des Alten, mit der er ab und an Touristen durch die Gegend zu staken pflegt, um seine kümmerliche Altersrente aufzubessern, gemeinsam die Angel auszuwerfen, um der legendären Rummelsburger Bucht ein paar schmackhafte Zackenbarsche zu entlocken, zusammen ein 30-Liter-Fässlein Stralauer Hofbräu zu leeren und sich dabei unter wirklich alten Männern in Ruhe über die Ereignisse der letzten Wochen zu unterhalten. Pippo Stiasny, der große Veteran des Stralauer Fußballs, war mal wieder nicht zu erreichen, so erschienen nur Norbertonius Pagellantopoulos und Schmauderinho, der von den Neuköllnern und Kreuzberger Sportskameraden zum allgemeinen Sündenbock Auserkorene, auf dem Steg an der Rückseite der Karl-Marx-Arena, um in den altersschwachen Kahn des Alten Mannes zu steigen. Gemeinsam wurde belächelt, dass sich die Kreuzberger und Neuköllner Jungspunde als "Ältestenrat" gerieren, wo Sie doch im Altersdurchschnitt noch nicht einmal die 30 erreichen. Vor allem der Platzwart selbst kam aus dem Schmunzeln gar nicht mehr raus. Man beschloss allerdings, das eigenständige Zusammenkommen eines derart jungen Ältestenrates zu tolerieren, schließlich sind die Menschen aus den westlichen Stadtbezirken im Schnitt einfach durch die Gnade der späten Geburt gezeichnet und haben folglich Ihr ganzes Leben noch vor sich, warum also nicht: Ein „Ältestenrat" mit Mitgliedern unter 30 Jahren. Eine solche Form symbolischer Frühvergreisung passt natürlich irgendwo zu einer seltsamen, unter einem mysteriösen Jugendwahn leidenden Gesellschaft. Nachdem lange Zeit über dem Bier und dem Beobachten der Angel nichts gesprochen worden war, schließlich haben wirklich alte Männer viel Zeit und Muße und müssen nicht andauernd palavern und Dinge entscheiden, die über Ihre Kompetenzen weit hinausgehen, kam man auf die Probleme der letzten Zeit zu sprechen. Als wirklich drängend wurde das Fernbleiben von Philipp Stiasny empfunden, denn ohne seinen ausgeprägten Charakterkopf, seine leidenschaftlichen Kommentare und seinen unbändigen Einsatzwillen ist die Stralauer Fußballtradition weiterhin im Schwinden begriffen, ist er doch schon zu Lebzeiten mehr als ein Symbol denn als ein realer Mitspieler zu begreifen, ja zu einem höchst lebendigen Mythos auf zwei Beinen gereift. Darauf schwieg man einander beharrlich eine lange Weile an, während der Glockenturm in der Stralauer Dorfkirche zur Vollendung der vierten Stunde schlug. Noch sieben Minuten, bis die Sonne der Nacht ihre Weisheit spendende Strahlenkraft in Gänze entfalten würde. Es kam die Sprache auf die Umtriebe des sogenannten "Ältestenrates" der Kreuzberger und Neuköllner Sektionen. Der Stralauer Platzwart strich sich über sein weißes schütteres Haar, warf die Stirn in Falten und kommentierte in seiner unergründlichen Art diese hybrische Handlung: "Eigentlich habe ich ja gar nichts gegen diese Westler. Einige meiner besten Freunde sind Kreuzberger oder gar Neuköllner. Aber manche von diesen Westlern sind mir dann doch entschieden zu westlich! Sie kommen zu uns, um mit uns gemeinsam Fußball zu spielen, manche von Ihnen kicken wirklich ganz brauchbar, man möchte Sie schon gar nicht mehr zurücklassen in ihre schnöde Vorstadtwelt. Obwohl Du unter der Woche von denen gar nichts mitkriegst, weil eigentlich brechen Sie nur am Samstag, manchmal zu den denkbar unwirtlichsten Zeiten, über uns herein. Man fragt sich, warum nehmen sich diese Westler nur selber immer so furchtbar ernst, denn, wenn man es genau besieht, ist Ihr Beitrag zum Stralauer Spieltag längst nicht so gewichtig, dass Sie sich etwas darauf einbilden könnten." Das fängt beim Pflegen und Waschen der verschiedenen Sorten von Trikotagen an, die traditionell beim Kicken Verwendung finden, geht über zu den Orten, an denen seit Urzeiten der Stralauer Spieltag stattfindet, betrifft die Beiträge auf dem Blog des einzigen Platzwartes, der gewiss kein Kreuzberger und auch kein Neuköllner ist, schließt die Textbeiträge dort ein, die zu annähernd 90 Prozent aus den Federn von Stralauern und Friedrichshainern fließen und endet bei den Leuten, die die Verantwortung übernehmen, den Spieltag per Einladung auf den Weg zu bringen. Dann allerdings kam die Rede auf die Vergehen des Schmauderinho. Hatte er es doch aufgrund von Computerproblemen ab Mitte vergangener Woche versäumen lassen, die anderen davon zu unterrichten, dass es angesichts der Witterungsbedingungen und dem Ende des unsäglich niveaulosen Championats, mehr als angebracht erscheint, endlich auf Sommerzeit umzustellen. Dies tat er egoistisch, aufgrund der Computerprobleme viel zu kurzfristig und ohne seine Sportskameraden in Ost und West davon in Kenntnis zu setzen. Dieser Vergehen ist er schuldig geworden, das wurde ausdrücklich gerügt und als für schwer tolerabel empfunden. Der gescholtene Schmauderinho warf sich bäuchlings auf den Boden der Barke, die dadurch wieder bedächtig zu schwanken begann, und trommelte mit den Fäusten. Er deklamierte sein "Mea Culpa, mea Culpa" inbrünstig und von ganzem Herzen, so dass dem armen Stralauer Platzwart, der eh nah am Wasser gebaut hat, und dem Mitgeronten Norbertonius die Tränen in die Augen traten vor Rührung ob so verzweifelter Einsicht in die begangenen Schandtaten. Dem armen Schmauderinho wurde die Pflicht abgenommen, so er denn noch gewillt sei, die schwer getragene Amtshandlung der Einladungsverschickungen zu übernehmen, seine Sportskameraden rechtzeitig von den Änderungsplänen zu unterrichten, ansonsten soll er entweder endlich in Rente gehen oder diese Aufgabe an wen anders abtreten, wenn sich denn jemand aus dem erlauchten Kreis der Co-Adlati finden lässt. Der Stralauer Platzwart bestand aber schon allein aus traditionellen und vor allem aus Gründen der Mobilisierung darauf, diese Einladungen weiterhin regelmäßig zu verschicken, damit der Freie Stralauer Wochenendfußball trotz seiner mehr als 740-jährigen Geschichte nicht endgültig versiege. Hatte doch der Alte Mann damals die Gründungsurkunde der FußballerInnenschaft der Stralauer Traktoristen mit seinem Blut mitunterzeichnet. Dann beklagte sich Schmauderinho noch lauthals über die unerträglichen Sanktionen, die ihm der „Ältestenrat“ in einer offenbar in bester bolschewistischer Henkersstimmung erfolgten Urabstimmung im kleinsten konspirativen Kreise auferlegt hatte, woraufhin dem Stralauer Platzwart folgende salomonischen Worte über die Lippen kamen: "Mein Sohn, was meine Schäfchen drüben im Westen mit Ihrer selbsternannten Vereinsmeierei auch immer tun und treiben, bleiben Sie doch seit jeher einfache Gärtner und Mit-Adlati im Weinberg zu Stralau sowie auf dem vorzüglichen Kunstrasen der Karl-Marx-Gedächtnis-Arena und haben gleiche Rechte und Pflichten wie ihre Friedrichshainer und Stralauer Brüder und Schwestern. Auch wenn Sie aufgrund der vielleicht örtlichen Ferne nicht immer ebenbürtige Aufgaben zu übernehmen gewillt sind, oder gar weghören oder noch schlimmer: Stillschweigend an die fleißigeren Friedrichshainer delegieren, was ich nun überhaupt nicht gerne sehe. Zudem werde ich Sie nicht verdammen oder gar verbannen ob Ihres korinthenkackerischen, krämerseelenhaften Treibens, wenn Sie sich als unter 30-jährige zum Abhalten eines nur mühsam glaubhaften "Ältestenrates" aufschwingen. Gleichsam musst Du Ihr Urteil achten, wenn es sich denn auf Gescheh- und Vorkommnisse in Ihrer Gemarkung bezieht. Befolge strikt das Publikationsverdikt, Du ersparst Dir dadurch eine Menge Arbeit, mögen andere mal kreativ sein. Ziehe von mir aus sämtliche Deiner Textbeiträge zurück, damit die Herrschaften in Ihrer Kleinmütigkeit sehen, was Sie davon haben, Dich auszuschließen: Einen Blog, der dann nur noch auf Sparflamme seiner Aufgabe und Verantwortung gerecht wird, zumal er dem Namen nach auch noch eine Erfindung von Dir ist und somit Dein geistiges Eigentum, was man aber auch nicht so gottverdammt wichtig zu nehmen braucht, wenn man sich denn von seiner eigenen Kleingeistigkeit zu verabschieden in der Lage ist. Boykottiere auch ruhig Ihre Feste und Veranstaltungen, wenn denn Dein Zorn so groß sein sollte, aber schreibe Sie weiter an, lade Sie ein zu den Stralauer Spieltagen samstags ab 15h, wie es seit jeher im Sommer geschieht. Toleriere Ihre Anwesenheit, auch wenn Du Ihnen für die nächsten Wochen zürnst und Du die ganze Bagage am liebsten ungespitzt in die fruchtbare Stralauer Erde schlagen möchtest, denn ein Stralauer Spieltag ist nur halb so formidabel ohne das vollständige Erscheinen der X-berger und Neuköllner Fraktionen. So bolschewistisch, antisyndikalistisch, größenselbstberauscht, paranoid und FAFI-like Sie sich auch immer gebärden wollen, so sind Sie doch Deine Mitbrüder und Schwestern im Geiste des Stralauer Wochenendfußballs. Du musst einfach sehen, Du hast zum Teil Ihre Pläne für das Wochenende ruiniert mit Deinem kurzfristigen, unüberlegten Versenden der Einladung. Sei bitte nicht so egoistisch und denke auch mal an die Anderen, die nicht einen so müßiggängerischen Lebenswandel führen wie Du und Ihren Tagesablauf noch nach anderen Kriterien planen, zum Beispiel einem regelmäßigen Broterwerb nachgehen oder einem geregelten Studium oder gar noch höheren Weihen entgegen sich strecken. Und bitte, benehme Dich nicht so, als ob Du da keine Verantwortung trägst, wenn Du diese Einladungen versendest, auch wenn Dein kleiner Computer mal wieder spinnt, diese Aufgabe kann man nicht nach Gutsherrenart verrichten, auch wenn sie eine recht demütige ist. Wenn Dein Rechner sich mal wieder eine Auszeit nimmt oder gar seine Internetdienste nicht zu verrichten gewillt ist, dann musst Du eben wenigstens versuchen, die edlen fußballspielenden Brüder und Schwestern telephonisch von Deinen Plänen und Vorschlägen zu unterrichten, wenn es um das Prozedere des Stralauer Wochenendfußballs geht. Und bitte merke Dir eines: Wenn Du jetzt hier gemeinsam mit dem Norbertonius und mir beschließt, dass es für Deine erwiesenermaßen unrühmlich angehäuften Vergehen dann doch auch keinen tolerablen Anlass gibt, Dich vom Stralauer Fußballspiel kurzerhand zu suspendieren, dann können sich die XY-berger und Neoköllner auf den Kopf stellen, dann sollen Sie von mir aus den Spieltag eine Weile boykottieren oder tatsächlich aus eigener Kraft einen Gegentermin in die Welt setzen, wenn Ihnen denn danach ist, dann hat Ihre einsam getroffene Entscheidung für Dich nicht die geringste Bindung. Solche Art von unrühmlichen Alleingängen können sich die Buben da drüben im Westen leider nicht erlauben, zumal man Gleiches nicht mit Gleichem vergelten soll. Ohne den Norbertonius, mich und auch Dich wird hier gar nichts gefällt, denn wir sind diejenigen, die diese fußballerische Ausnahmeveranstaltung im Innersten zusammenhalten, so nett es auch ist, dass die Kollegen aus dem Westen uns am Wochenende besuchen kommen und Deinen Einladungen in der Vergangenheit immer wacker gefolgt sind, natürlich immer in Absprache mit Ihnen und Ihren ehrenwerten Gremien. Jedenfalls schlage ich vor, dass wir Drei jetzt hier auf der alten Barke, unter dem gleißenden Vollmond, der über der Rummelsburger Bucht und der Marx-Arena schwebt, ein Veto gegen die einsam erfolgte und vollkommen unplatzwarthaft gefallene Entscheidung einlegen. Dann sollen die Genossen da drüben aus lauter Wut die ganze Nacht einsam den Vollmond anheulen, das schert hier im Angesicht der feiernden Natur keine Seele. Und wenn Dir die Genossen aus dem Westen weiterhin frech kommen, dann kannst Du als Älterer und Erfahrener ja vielleicht auch einmal in der besten Tradition Deiner Landsleute sagen: Leckts mich halt am Arsch, kickt Ihr eben künftig alleine, solange, bis es mir wieder Spaß macht, meine Kräfte mit dieser elendigen Bagage aus den Vorhöfen des kapitalo-bolschewistisch unterwanderten Westens zu messen. Sollen Sie doch sehen, wo Sie bleiben ohne Deine Energie und Anteilnahme an den Ereignissen des Stralauer Spieltages!" So sprach der Platzwart und anschließend beschloss man einmütig, den Kreuzberger und Neuköllnern, die anlässlich der alljährlichen Brückenschlacht am Oberbaum sowieso immer in Ihre Schranken verwiesen werden, ehern die Stirn zu bieten. Sie sollen sich lieber ihre Milchzähne am Stralauer Basalt ausbeißen, als dass gegen das Veto der Friedrichsheinricher und Stralauer Würdenträger etwas in Sachen Stralauer Spieltag auszurichten ist. Auch als Westler kann man sich nicht schon selbsternannt wie ein vollkommen unzeitgemäß drakonisch daherpolternder Mahatma Gandhi aufführen wollen, kurz nachdem man sich mühsam aus den bekleckerten Windeln hervorgeschält hat. Die Drei beim Stralauer-Schwur stießen an mit dem letzten Humpen des schäumenden Hofbräus und blickten noch einmal über die wehende Landschaft, die vom Mondlicht durchtränkt wurde, welches sich in den würdevoll ergrauten Häuptern der Mitglieder des originalen, wahren und einzig sanktionierenden AeltestInnenrathes verfing. Der Stralauer Platzwart stakte die beiden vom Hofbräu sichtlich gebeutelten Fr'hainer Deputierten zurück ans Ufer und wunderte sich einmal mehr, dass die so wenig vertragen. Aber eh' klar, die Trinksitten heutzutage können ja auch nur als verweichlicht bezeichnet werden. Wenn der Platzwart da an die reichlich genossenen Räusche und durchlittenen Orgien seiner späten Jugend dachte: Um 1500 wurde mensch eben noch gründlich geeicht! Die beiden tapferen Erzgeronten wankten nach Hause in den finsteren Problemkiez, während sich der Stralauer Platzwart mit seiner Barke neuerlich vom Ufer abstieß, um seiner alten Freundin, der Nixe am Grund der Rummelsburger Bucht, einmal wieder einen ehrenvollen Besuch abzustatten. Gemeinsam sollte dann noch so manche milde Träne über die Kurzsichtigkeit und Endlichkeit, die Befangen- und Aufgeblasenheit, vor allem aber über die Selbstüberheblichkeit der ach so sterblichen und Ihre zugewiesene Zeit doch nicht genug genießenden und diese mit Nichtigkeiten maßlos vergeudenden Stralauer, Kreuzberger, Friedrichshainer und Neuköllner Fußballburschen vergossen werden. Die Beiden kompensierten diesen beträchtlichen Flüssigkeitsverlust gebührend mit bestem Rum, der aus den Gründungstagen der Traktoristen stammend, in den submarinen Kavernen der Nixe lagert und nur zu ganz feierlichen Anlässen verkostet zu werden pflegt.
Aus der Nacht über der Rummelsburger Bucht berichtete Snorri Sturlufsson, Träger des großen Verdienstordens der Töchter und Söhne des isländischen Imperiums am goldenen Bande. Dieser Tatsachenbericht ist nur dank modernster Richtmikrophone und einem als Rummelsburger Schwan getarnten Schlauchboot möglich geworden, von dem aus Snorri S. unerkannt das Treiben auf hoher See beobachten und belauschen konnte.

1 Comments:

Anonymous Anonym said...

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»

2:36 AM  

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